Aiguille Blanche de Peuterey, 4.112m, Mont Blanc Gruppe, Italien

3 Aug

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Traum oder Albtraum? Schon mehrmals versucht, stundenlang im Netz gesurft, Bücher gelesen, Leute gefragt. Aiguille Blanche de Peuterey. Der Berg mit dem klingenden Namen. Der Berg mit der eleganten Firnschneide im Schatten des Mont Blancs. Der Berg, von dem niemand so recht weiss, wie man eigentlich hinaufkommt. Der Berg, der im absolut wildersten Teil der Alpen liegt. Und der Berg, auf den jeder 4000er Sammler hinauf – und auch wieder hinunter –  muss. Und selbst, wenn es keine zuverlässigen Wegbeschreibungen gibt, alle 4000er-Bücher erwähnen es. Die Aiguille Blanche ist der schwierigste der selbstständigen 4000er der Alpen. Und der gefährlichste.

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Herman und ich befanden uns im Auto im Wallis. Noch einmal wurden diverse Foren im Internet gecheckt. Sind die Verhältnisse am Berg passabel. Die Kaltfront der letzten Woche gab Hoffnung, dass der Permafrost die wilde Südseite des Mont Blancs in Schach hielt. Doch das UK Climbing Forum meldet, dass das Eccles Biwak nur mittels Eiskletterei erreichbar ist. Sollten wir nicht doch lieber den Lyskamm machen, also eine Genusstour unternehmen. Wir warteten, überlegten. Ich rief noch das Führerbüro in Courmayeur an. Mein bescheidenes Italienisch gab mir zu verstehen, dass der Aufstieg zum Eccles Biwak ok war. Also: Kein Genuss am Lyskamm. Sondern ab in das ungewisse Abenteuer Aiguille Blanche. Nach einer feinen Nacht im phantastischen Richmond Hotel in Chamonix, dass unglaublicherweise über nur 2 Sterne verfügt und damit günstig ist, fuhren wir durch den Mont Blanc Tunnel und ins malerische Val Veny. Der Kontrast von märchenhaften Lärchenwäldern und den 2000 bis 3000 Meter aufragenden Granittürmen ist atemberaubend. Dazu kommen die riesigen Moränen, unter denen immer noch Eis liegt, obwohl sie schon bald hundert Jahre vom Gletscher getrennt sind. Vom Parkplatz sollten es nicht weniger als 2.300 Höhenmeter zum Eccles Biwak sein. Aufgrund schlechter Recherche kostet und ein Startfehler ein bis zwei Hundert Meter und einige Nerven extra. Doch das war schnell vergessen, als wir den prächtigen Hüttenklettersteig emporklammen, mit ständigen Blick auf unser Traumziel da oben. Nach einem Mittagessen auf der Monzinohütte stiegen wir einem Steig entlang zum Brouillardgletscher empor. Dort erwartete uns das erste Hindernis. Eine furchtbare Schneerinne, auf der uns ständig Geschosse entgegen kamen. Schnell durch war die Devise. Und bald waren wir am mittleren Gletscherbecken angekommen. Wir folgten zwei Spuren, die uns einen geeigneten Weg durch ein Spalten- und Eis-Chaos vermittelten. Vielen Dank den Spurern. Nicht nur für die Wegfindung, sondern auch für das Stapfen. Es folgte eine Steilpartie nach der anderen. Die Höhenmeter sassen uns schon in den Knochen. Dann noch die Randkluft und etwas leichte Mixed Kletterei, ehe wir endlich die Stahltür zum Eccles Biwak öffnen konnten (über fünf Stunden von der Hütte).

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Über diese Unterkunft muss man fast einen eigenen Bericht schreiben. Weiter entfernt von Luxus kann man nicht sein. Die zwei Biwakschachteln befinden sich am Felsen des Pic Eccles, hundert Meter über dem wild zerrissenen Gletscher. Eine wichtige Regel: Festhalten beim Pissen, sonst macht man schnell den Abgang. Und keine abrupten Bewegungen auf dem maximal einen Quadratmeter breiten Podest vor der Hütte. Mit vier Leuten am Biwak (wir und zwei Deutsche) war die Kapazität auch fast schon gesprengt. Wir schmolzen Schnee und assen zwanghaft ein Paar Bissen. Um acht Uhr abends gab es noch einen Kontroll- / Sicherheitsfunk mit der Monzinohütte. Dann begann die Nacht, auch wenn von Schlaf nicht unbedingt die Rede war.

02:20: Tagwache. Ein halber Riegel und etwas abgestandenes Schmelzwasser. Gurt und Steigeisen an. Und raus in die aufgrund des Monds nicht so beängstigende Finsternis. Es begann mit leichter Kletterei an der Südflanke des Pic Eccels. Hier war ich schon einmal mit Terje im Jahr 2005. Deshalb war ich schon etwas überrascht, dass der Schlussteil zum Gipfelchen des Eccles mit einer saftigen 4er Stelle aufwartet. Danach folgte noch ein messerscharfer Grat zur Abseilstelle. Nun wurde es ernst, näher an der Aiguille Blanche war ich noch nie. Zwei Mal Abseilen in die Rinne hinein, dann noch etwas Abklettern und eine Querung einer Lawinenbahn. Und endlich war das obere, weltferne Becken des Freneygletschers erreicht. Unser Ziel sah ja schon vom Tal aus abschreckend aus. Und der der Blick vom Freneygletscher zum Gipfel bestätigt den ersten Eindruck. Abschreckend! Der Peutereygrat zum Mont Blanc war „out of conditions“, das sahen wir gleich. Also wurde uns schnell klar, dass der Abstieg vom Gipfel gleich dem Aufstieg sein musste. Wir hatten nun also jede Zeit der Welt.

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Nach einer langen Pause am Col de Peutery, 3.934m, setzten wir zum Angriff an. Zuerst ein steiles Firnfeld, dann ein leichter Bergschrund, ein noch steileres, felsdurchsetztes Schneefeld, ehe eine Rinne zum Grat hinaufführen sollte. Die Schlüsselstelle. Schwierigkeit M4, schätzungsweise. Ich stieg voraus, die Steigeisen wetzten am Fels. Einmal griffen die Eisgeräte, einmal nicht. Gott sei Dank liessen sich in einem Riss genügend Friends setzen. Nach 15 Meter machte ich Stand, holte Herman, der dann noch eine Mixed Stelle meistern musste. Dann waren wir endlich am Grat und in der Sonne. Der Grat sah ja ok aus. Doch sollte uns die Blanche noch ein Hindernis in den Weg einbauen? Nach einer halben Stunde sehr ausgesetzter Gratkletterei sahen wir nämlich, dass wir erst am Vorgipfel, dem Pointe Jones (4,104 m) waren. Und die Verbindung zum Hauptgipfel, Pointe Güssfeldt (4,112 m), war ein messerscharfer Schneegrat, der von einer kurzen, plattigen und zudem verschneiten Steilstelle abgelöst wurde. Doch es half nichts. Es wurde weitergekämpft. Wir konnten uns so kurz vor dem Ziel nicht geschlagen geben. Ich ging das Schlussstück an, tastete mich vorsichtig hinauf, konnten einen Klemmkeil anbringen. Noch ein paar heikle Schritte, die Eisgeräte sassen, endlich konnte ich die festen Schlussfelsen anfassen, noch ein paar Mal ziehen, und der Gipfel war erreicht. JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA! Herman hörte meinen Siegesschrei, stieg nach und wir gratulierten einander zum Erfolg.

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Der Abstieg: Zitat vom 4000er Papst Richard Gödeke, nachdem er die Aussicht vom Gipfel beschrieben hat: …Ansonsten bietet sich an diesem Orte reichlich Gelegenheit zu Betrachtungen, wie weit und steil es ringsum runtergeht und wie man es am besten anstellt, wieder zu den Blumenwiesen und Eiskremschüsseln zurückzugelangen.

Das Problem bei der Aiguille Blanche ist halt, dass der Absteig genau so kompliziert wie der Aufsteig ist. Vom Vorgipfel gibt es wenigsten eine halbwegs (mit Reepschnüren und sonstigen Uraltmaterial) eingerichtete Abseilpiste.  Herman fasste den Mut und machte den Anfang. Abseilen ins Ungewisse in die Westwand hinunter. Gott sei Dank fand er gleich den nächsten Standplatz. Nach drei Mal ca. 50m Abseilen (zwei Mal Fels, einmal Schnee) waren wir wieder am Col de Peutery. Zu unserer Überraschung hat der Wind die von uns deponierten Schlafsäcke über die Nordabstürze zur Brenvaflanke hinuntergejagt. Der Verlustschmerz hielt sich in Grenzen, die Freude über den Gipfelsieg war zu gross. Nun war wiederum Warten angesagt. Herman schlief gut, doch ich war ziemlich angespannt. Die steinschlägige Rinne zurück zum Col Eccles hinauf war nicht unbedingt ein Leckerbissen. Wir schlugen die Zeit tot, bis die Sonne aus der Flanke war und die Musik des Steinschlags verstummt war. Das ganze erwies sich dann als harmlos. Etwas Schneegestapfe, kein Beschuss. Um sieben Uhr waren wir wieder am Col Eccles. Doch selbst dort war die Schlacht noch nicht geschlagen. Um die 15 Meter zum Pic Eccles zu erklimmen, musste noch mal ein nicht perfekt abzusichernde M4 Stelle gemeistert werden. Ich war froh, dass sich Herman freiwillig zum Führen meldete. Dann waren die Schwierigkeiten doch hinter uns, der Abstieg zu den Biwaks erwies sich als harmlos. Um neun Uhr abends verkrochen wir uns unter die Decken der oberen Biwakschachtel, während die Abendsonne eine kitschige Stimmung am Horizont malte.

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