Grandes Jorasses, 4.208m, Mont Blanc Gruppe, Italien

1 Aug

Eine Kaltfront von Montag auf Dienstag brachten in der Höhe 30cm Neuschnee. Aiguille Blanche und Peutereygrat mussten also aufs nächste Jahr verschoben werden. Stattdessen haben wir uns die Grandes Jorasses, einen wirklichen Superstar der 4000er vorgenommen. Das Schaustück ist die Nordwand von Chamonix. Doch auch die Südseite von Courmaeur ist äusserst beeindruckend. Schon der Hüttenzustieg zum unbewirtschafteten Rifugio Boccalatte auf 2.800m ist durch den Kontrast von lieblichen Lärchenwäldern und wird zerrissenen Gletschern und übermächtigen Granitpfeilern grossartig. Die Strategie war folgende: Erkunden und Spuren am Donnerstag. Gipfelvorstoss Freitag. Auch bei trockenen Verhältnissen gilt unser Ziel als einer der anspruchsvolleren 4000er. Wir mussten aber wirklich kämpfen. Die Erkundungstour vom Donnerstag führte uns auf knapp 3.800 Meter. Beim teilweise hüfttiefen Spuren durch den Neuschnee wurde sowohl auf Deutsch als auch auf Norwegisch geflucht. Hinter uns eine Führergruppe, doch auch diese wagten nicht den Gipfelvorstoss. Wir drehten um ca. 11 Uhr um. Die Lawinengefahr wäre einfach zu gross gewesen, um am späten Nachmittag den Abstieg zu vollziehen. Wir zogen es vor, wie auch geplant, noch eine Nacht auf der spartanischen Hütte zu verbringen. Hatten wir am Vortag noch Gesellschaft von zwei nur mittelmässig spannenden Zeitgenossen, waren wir nun mutterseelen allein. Die Erkundungstour war nicht nur eine Investition in den Gipfelsieg. Es war eine Tour an sich. Traumwetter, verschneiten Gipfel. Zerrissene Gletscher. Spalten und Eistürme. Was will man mehr. Freitag: Noch einmal um drei Uhr morgens aus den Federn. Im Stirnlampenlicht ging es durch die Finsternis. Unter uns die Lichter des schlafenden Courmayeurs. Ober uns sollten die Sterne leuchten. Doch so war es leider nicht. Hat der Wetterbericht denn völlig versagt? Die Nebelschwaden im Gipfelbereich und die Gewitter im Süden trübten die Stimmung. Doch wir kamen schnell voran. Anstatt über die im Führer beschriebenen Reposoirfelsen stiegen wir direkt den Gletscher hoch. Noch ein paar Querungen mittels laufender Sicherungen und wir waren wieder beim Umkehrplatz vom Vortag. Wieder mussten wir erbärmlich spuren. Die Route führt in einer Steilrinne zwischen der Wymperrippe und einem Riesenserac empor. Eine kurze Eispassage verlangte Vorsicht und zwei Eisgeräte. Der Nebel wollte nicht weichen. Doch wir gaben uns auch nicht geschlagen. Der Wind pfiff, Hagel und Schnee. Doch die Rippe zur Rechten machte die Orientierung problemlos. Wir erreichten die scharfe Schneide des Gipfelgrats und stiegen über selbige zum höchsten Punkt. Nach knapp sechs Stunden Kampf war das Ziel erreicht. Und unglaublich aber wahr. Plötzlich, im Moment der Gipfelankunft, tat sich eine Lücke in der Wolkendecke auf. Die frisch verschneiten Gipfel der Umgebung kamen zum Vorschein. Beeindruckende Wolkenformationen. Wir begannen regelrecht zu jubeln. Die Freude war so gross, dass wir noch den Pointe Wymper mitmachten. Da liess sich Helge sein Recht nicht nehmen, wie am Grand Combin einen Espresso zu kochen. In der Eisflanke 3m unter dem Gipfelgrat, der tausend Meter in die Nordwand abbricht, hörte ich das Brodeln des Kaffees. Jetzt galt es noch, vor den Lawinen ins Tal zu kommen. Wie am Vortag gestaltete sich der Abstieg aber zügig und lief abgesehen vom unzähligen Einbrechen im faulen Schnee ohne Reibereien ab. Nachdem wir die letzten drei Hundert Höhenmeter am Hosenboden abgerutscht waren, musste das Hüttendach nochmals zum Trocknen der Ausrüstung herhalten. Wieder im Tal waren wir ziemlich k.o. und die paar Bier gingen relativ schnell ins Blut. Und der Blick zurück auf die unglaubliche Wildnis der Grandes Jorasses Südflanke machte die Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis.

 

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