Träume aus Granit, Narvik, Norwegen

24 Sep

Der Stetind (Narvik, Nordnorwegen, 1.392m), ein einziger, riesiger Granitblock, der wie ein Schwert direkt aus dem Fjord schiesst. Norwegens sogenannter Nationalberg und fünft schwierigster Gipfel des Landes. Wer ihn sieht, und sich traut, der muss da rauf. Kein Bergsteiger kann sich seinem Bann entziehen.

Stetind sydpilar (77)

Dieser Berg besteht fast nur aus Granit. Kaum Bäume, Wiesen oder Geröll. Nur härtestes Gestein. Kein Wunder, dass es auf diesem Berg nur so vor Kletterrouten wimmelt. Schon am Normalweg muss kurz der vierte Grad geklettert werden. Der Südpfeiler weist nicht weniger als 14 Seillängen auf. Eine schöne als die andere. Eine der schönsten Routen Europas, da bin ich mir ganz sicher.

Haken gibt es auf diesem Berg nicht. Es ist in Norwegens Kletterkreisen verpönt, Löcher in die Berge zu bohren. Und den Nationalberg mit Haken zu vergewaltigen wäre die Todsünde überhaupt.

Stetind sydpilar (2)

Herman und ich hatten den Südpfeiler schon länger im Visier, doch 3 Sechserlängen (NO 5+ bis 6-, UIAA VI) ohne einen einzigen Haken verlangen einem doch einiges ab. Erst heuer, nach vielen Stunden Training in den Klettergärten von Oslo und Asker, fühlte ich, dass die Zeit für die Route gekommen war.

Am Donnerstag brachte uns der letzte Norwegian Flight nach Evenes, von dort waren es noch gut 2 Stunden per Mietwagen zum Parkplatz unterhalb des Stetind, auf genau einem Meter Seehöhe.

Nach wenigen Stunden Zeltschlaf ging es um sieben los. Der lichte Laubwald war bald hinter uns, da sich die Waldgrenze auf rund 400m befindet. Wir folgten dem Normalweg, an einem malerischen See vorbei, ehe wir über kleine Steigspuren zu einer Art riesigem Trichter gelangen und über ein breites Band den Einstieg erreichten. Dieser liegt auf einem Felsvorsprung, von dem es sicher hundert Meter im freien Fall zum Boden ginge. Die Aussicht zum Fjord ist toll, der Blick hinauf auf die Route respekteinflössend, aber aufgrund der nicht sooo steilen Platten auch nicht beängstigend.

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Stetind sydpilar (21)Herman am Standplatz unter der Kaminlänge

Aufgrund der geringeren Schwierigkeit der ersten 4 Seillängen, IV, sicherten wir laufend (running belays), weshalb wir sehr zügig vorankamen. Schon 50 Meter nach dem Einstieg holten wir zwei Schwedinnen ein, die am Parkplatz 2,5 Stunden vor uns gestartet waren. Mutige Kletterinnen, doch ihr Ziel war  wohl etwas zu hoch gesteckt. Nun kam auch die Sonne auf den Pfeiler, die Stimmung war perfekt. Wir querten dann etwas nach links in die zweite Sektion, wieder fünf Seillängen. Diesmal etwas schwieriger, vielleicht V-, also begannen wir mit herkömmlicher Sicherung. Herman machte den Anfang, ich musste dann eine Kaminseillänge führen. Diese war zwar nicht die schwierigste, ich empfand sie aber als die anspruchsvollste, da ich mit dem Rucksack fast nicht durchschlüpfen konnte. Als ich endlich aus dem finsteren Kamin raus war, genoss ich  die Sonne am Standplatz in vollen Zügen. Noch eine leichte und eine wegen eines Felsausbruchs etwas schwierigere Seillänge, die wir auf zwei Längen aufteilten, und schon waren wir am Einstieg der hundert Meter hohen, senkrechten Schlusskante.

Stetind sydpilar (29)Volle Konzetration beim Sichern

Stetind sydpilar (25)Eine leichte Seillänge

Stetind sydpilar (40)Herman arbeitet sich am Überhang vorbei

Stetind H3Viel Luft unter den Beinen

Wir gingen es mit Ruhe an. Zuerst essen, trinken und Aussicht geniessen, war unser Motto. Ich war der erste an der Reihe und muss zugeben, ich hatte Respekt vor dem Finish. Jetzt sollte es ja wirklich zur Sache gehen. Meine Seillänge begann recht leicht, wurde aber dann doch zu einer anspruchsvollen Verschneidungskletterei. Gott sei Dank war es ideal, um Sicherungen zu legen. So ideal, dass ich kurz die Konzentration verlor und tatsächlich einen Meter in meine eigene Friends-Zwichensicherung hineinpurzelte. Undramatisch und gut für die Psyche zu sehen, dass das Zeug auch wirklich hält. Nach 50 Meter kam ein toller, ausgesetzter Standplatz von einem halben Quadratmeter. Nun war Herman an der Reihe, auch seine Seillänge war im Bereich VI-, er meisterte sie mit Stilnote 20. Dann kam das grosse Finale, Seillänge 13, Grad VI. Und wieder super abzusichern. Ich war an der Reihe und konnte diese Nummer 13 wirklich geniessen. Eine wenig steile, doch griffarme Platte, gefolgt von einem Riss an einem Steilaufschwung. Das war‘s. Seillänge 14 verlief durch einen Rinne und konnte ohne Seil begangen werden. Nach knapp 5,5 Stunden Kletterzeit standen wir am Gipfel.

Stetind sydpilar (36)Gleich fertig mit der Crux-Länge

Stetind sydpilar (44)

Stetind sydpilar (55)Der Pfeiler links im Profil

Und dieser ist wirklich eigenartig. Ein Plateau, so gross, das der FC Barcelona eine Fussballtrainingsanlage darauf errichten könnte.  Ballholen möchte ich aber nicht. Denn auf allen Seiten geht es nahezu senkrecht direkt zum Meer hinab.

Herman und ich genossen unseren Erfolg und machten uns erst gegen halb vier an den durchaus attraktiven Abstieg. Im grossen und ganzen handelt es sich dabei um Gehgelände, gewürzt mit einer Abseilstelle und ein paar mega-ausgesetzten Gratstellen mit herrlichen Aus- und Tiefblicken. Wir begegneten einer geführten 5er-gruppe, die gleichzeitig mit uns aufgebrochen, aber immer noch nicht am Gipfel angekommen war. Diese Gruppe, genauso wie die zwei von uns überholten Pfeilerseilschaften, sollten noch bis tief in die Nacht hinein am Weg sein.

Wir hatten dagegen noch die Möglichkeit, unseren Granitgiganten im letzten Abendlicht vom Zeltplatz aus bewundern zu dürfen. Die wahrscheinlich schönste Klettertour unserer „Karriere“ war zu Ende.

Stetind sydpilar (78)

 

Kuglhorn, 981m

Ein Berg von nicht einmal 1000 Meter Höhe würde von Mitteleuropäern sicher belächelt, wahrscheinlich gar nicht als Berg anerkannt werden. Doch wer das Kuglhorn einmal gesehen hat, der kann ahnen, mit was für einer tollen, alpinen Kletterei der kleine aber feine Gipfel aufwartet. Der messerscharfe Ostgrat gilt als eine der schönsten Kletterrouten im 4.Grad. Und der Zustieg allein ist ein Riesenerlebnis. Sanft geneigte Platten vom Auto bis zum Einstieg. Herman und ich sicherten laufend, brauchten also nur knapp 2 Stunden für die Kletterei. Doch stümperhafte Vorbereitung führe dazu, dass wir auf der falschen Seite des Berges starteten und 6km an der Hauptstrasse zurückhatschen mussten. Dennoch, eine geniale Klettertour. Ein Genuss für Menschen, die gerne Luft unter den Füssen haben.

Kuglhorn (9)

Kuglhorn H1