Seekogel, 3.358m, Westgrat, Ötztaler Alpen, Tirol, Österreich

4 Oct

Der Kaunergrat ist der wildeste Teil der Ötztaler Alpen. Und der Seekogel der wildeste Gipfel des Kaunergrats. Von Ost und West betrachtet eine spitze Felsnadel. Von Süden und Norden macht er durch seine riesigen Wandfluchten den Anschein eines unüberwindbaren Bollwerks. Schwierigkeit ist subjektiv und welcher Berg der am schwersten zu ersteigende Österreichs ist, darüber gibt es lebhafte Diskussionen im Internet. Doch eines ist sicher. Der Seekogel gehört zu den anspruchsvollsten im Land. Schon der leichteste Anstieg verlangt einem Kletterei ab, noch dazu in einer äußerst brüchigen und unübersichtlichen Umgebung. Das Schmuckstück unseres Berges ist aber der Westgrat. Führer und Online-Einträge sprechen durchwegs von einer der schönsten Urgesteinsklettereien Tirols. Andi, mein Seilpartner Nummer 1, und ich haben Watze, Rofelewand, Gsallkopf und andere Kaunergratgipfel schon abgehakt. Der Seekogel fehlte uns aber noch. Also wurde dieser goldene Oktobertag ausgenutzt, um die angeblich so schöne Westgrat Kletterei auszutesten. Die erste Gondel brachte uns zum Riffelsee. Gleich hinter dem See zweigten wir rechts ab und dem Bach entlang wurde die erste Steilstufe überwunden. Der Gletscherrückgang beschert einem heutzutage noch 20 Minuten Moränenstolperei ehe man sich am aber immer noch recht ansprechenden Seekarlesferner die Steigeisen anziehen kann. Der Gletscher leuchtete aufgrund der zwei cm frischen Schnees wie ein Diamant. Ein herrlicher Kontrast zu den dunkelbraunen Bergen am Geigenkamm im Hintergrund. Andy und ich steigen seilfrei über den Gletscher. Der Westgrat warf wahrlich seinen Schatten (auf den Gletscher) voraus. Noch eine kurzes steileres Stück und nach gut zwei Stunden standen wir auf einem Joch, am Beginn des Grats. Ein großartiger Ausblick auf die glänzende Wildspitze und ihre Trabanten tat sich auf. Unser Augenmerk galt aber der Schneide zum Seekogel. Ein unglaubliches Gebilde von Zacken, Spitze und Türmen. Und über dieses Gebilde mussten wir also drüber. Es begann mit 2er Kraxelei, teilweise doch recht brüchig, Vorsicht war also angebracht. Vom Führer und diversen Beschreibungen sollte dann ein im Jahr 1975 vom Blitz malträtierter Turm das Weiterkommen über den Grat unmöglich machen und zu einer Querung in der Südflanken zwingen. Dies hatten wir zu sehr im Hinterkopf, als wir, gleich zu Beginn, den Grat verließen. Das erwies sich aber als Fehler mit 20 Minuten Zeitverlust. Wir stiegen wieder zurück und kletterten weiter am Grat entlang. Und wir kletterten, kletterten und kletterten. Ein Turm drüber, um den nächsten herum, dann wieder drüber. Ab und zu Gehgelände, meistens aber im Bereich 3, gespickt von zwei oder drei kurzen 4er-Stellen. Und ausgesetzt war es ständig. Fokus war angesagt. Das Gestein war nunmehr zuverlässig. Und nach dem x-ten Turm waren wir endlich am Höhepunkt der Kletterei angelangt. Der senkrechte Aufbau des Vorgipfels. Wir bauten einen Standplatz und ich machte mich an den Vorstieg. Wirklich traumhafte, bombenfeste Kletterei, mittels Friends seht gut absicherbar. Die gut 20 Meter waren schnell überwunden. Schockiert stellten wir fest, dass da noch ein paar Türmchen im Weg waren. Diese bereiteten aber keine Schwierigkeiten und nach sage und schreibe vier Stunden Gratklatterei standen wir am Gipfel. Der schroffste Gipfel der Ötztaler war erklommen. Obligatorische Fotos wurden geschossen, der Rest des überaus dürftigen Proviants wurde verzehrt und die AV-Führer-Beschreibung des Südwand-Abstiegs auswendig gelernt. Der Abstieg durch die wüste Wandfluchten der Südflanke ist sicher nicht jedermanns Sache. Ständiges Absturzgelände und loses Geröll. Das entscheidende ist hier, sich nicht verleiten zu lassen, ungesichert zu gehen, sondern das Seil immer zumindest durch eine Sicherung laufen zu lassen. Diesem Prinzip konnten wir aufgrund der fünf mitgebrachten Friends auch Folge leisten. Nach der langen Abwärtsquerung einer die ganze Wand durchziehenden Rampe, wir mussten nie abseilen, kam noch ein kurzes Steilabschwung, ehe wir am Wandfuss tief durchatmen konnten. Die nächste Herausforderung war nur eine für die Knie. Nämlich gut 700 Meter Abstieg über extrem steile Wiesen. Zurück beim Rifflsee waren wir ziemlich fertig, da war es auch schon egal, dass die Bahn schon zu war und wir noch zusätzliche 600 Abstiegsmeter aufgebrummt bekamen. Der Mond ging über dem Linken Fernerkogel auf und gerade rechtzeitig vor dem Anbruch der Dunkelheit waren wir wieder am Parkplatz.